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Lohnsteuerhaftung unabhängig von Einkommensteuerschuld

Keine Schattenveranlagung durch Betriebsstättenfinanzamt

Lohnsteuerhaftung unabhängig von Einkommensteuerschuld
Aktuelles
03.07.2025 — Lesezeit: 4 Minuten

Lohnsteuerhaftung unabhängig von Einkommensteuerschuld

Keine Schattenveranlagung durch Betriebsstättenfinanzamt

Arbeitnehmer kennen das Spiel. Monatlich behält der Arbeitgeber Lohnsteuer ein. Wer seine Steuerklasse richtig gewählt hat und keine weiteren Einkünfte erzielt, bei dem stimmen die einbehaltene Lohnsteuer und die am Ende zu zahlende Einkommensteuer oft überein. Doch wer haftet, wenn die monatlichen Lohnsteuerabzüge zu gering waren? Hilft es, wenn die tatsächliche Einkommensteuer niedriger ausfällt? Mit diesen Fragen musste sich das Finanzgericht Niedersachsen in seinem Urteil vom 16. April 2025 (9 K 155/22) beschäftigen. Die Revision wurde zugelassen und ist unter dem Aktenzeichen VI R 8/25 beim Bundesfinanzhof anhängig.

Fehlender Datenabruf führt zu ungünstiger Steuerklasse

Die Arbeitgeberin beschäftigte zwei beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer. Die Lohnsteuer wurde jeweils nach Steuerklasse I abgeführt. Die Arbeitgeberin hatte es jedoch unterlassen, die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale monatlich per ELStAM-Verfahren abzurufen, obwohl die für den Abruf notwendigen Identifikationsnummern den Arbeitnehmern erteilt worden waren. Im Lohnkonto waren keine Identifikationsnummern aufgezeichnet. Dies führte dazu, dass die Lohnsteuerabzugsmerkmale vom Finanzamt als nicht bekannt gewertet wurden, was die Anwendung der Steuerklasse VI nach sich zog.

Durch die Anwendung der Steuerklasse I ergab sich eine zu geringe Lohnsteuer, denn Steuerklasse I berücksichtigt Freibeträge (Grundfreibetrag, Arbeitnehmerpauschbetrag sowie Vorsorgeaufwendungen und Kinderfreibeträge) und ist für Arbeitnehmer mit einem Arbeitgeber vorgesehen. Steuerklasse VI hingegen gilt für Arbeitnehmer mit mehreren Dienstverhältnissen oder bei fehlenden Lohnsteuerabzugsmerkmalen. Sie ist wesentlich ungünstiger, da keine Freibeträge berücksichtigt werden.

Das Finanzamt nahm daher die Arbeitgeberin im Rahmen einer Außenprüfung für die zu gering einbehaltene Lohnsteuer in Haftung. Für einige Jahre legte die Arbeitgeberin daraufhin Einkommensteuererklärungen einer Arbeitnehmerin vor, die zeigten, dass die endgültige Einkommensteuer sogar geringer war, als die einbehaltene Lohnsteuer nach Steuerklasse I. Das Finanzamt reduzierte daraufhin die Haftsumme. Für weitere Streitjahre wurden zwar Berechnungen, jedoch keine Erklärungen vorgelegt. Diese reichten dem Finanzamt nicht aus. Daher klagte die Arbeitgeberin gegen die verbleibende Haftsumme.

Wie kann es zu einer Lohnsteuerhaftung kommen?

Der Arbeitgeber hat beim Lohnsteuerabzug bestimmte Pflichten. Er muss die Lohnsteuer korrekt berechnen, einbehalten und an das Finanzamt abführen. Um die korrekten Steuerklassen und Freibeträge zu berücksichtigen, muss der Arbeitgeber die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) monatlich abrufen. Bei fehlenden oder nicht abgerufenen ELStAM-Daten muss zwingend die ungünstige Steuerklasse VI angewendet werden.

Ausnahmsweise darf der Arbeitgeber für die ersten drei Monate der Beschäftigung die Lohnsteuerklasse anwenden, die ihm der Arbeitnehmer nennt. Dies ist eine Billigkeitsregelung, wenn beispielsweise die für den Abruf notwendige Identifikationsnummer noch nicht vorliegt. Wendet der Arbeitgeber die falsche Steuerklasse an, haftet er für die Lohnsteuer, die er nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe einbehalten und abgeführt hat.

Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner. Das bedeutet, das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen. Der Arbeitgeber kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt wird.

In welcher Höhe haftet der Arbeitgeber?

Die Haftung des Arbeitgebers knüpft an die Jahreslohnsteuer an, die unabhängig von der tatsächlichen Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer ist. Im Streitfall hatte die Arbeitgeberin argumentiert, dass die tatsächliche Einkommensteuer der Arbeitnehmer geringer sei als die Lohnsteuer nach der angewendeten Steuerklasse I, sodass sich kein Haftungspotenzial ergäbe.

Keine Vermischung von Lohnsteuer und Einkommensteuer

Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht und führte aus, dass die Haftung des Arbeitgebers ausschließlich auf der Lohnsteuer basiert und nicht auf der individuellen Einkommensteuer der Arbeitnehmer. Eine spätere Veranlagung des Arbeitnehmers hat keine Auswirkungen auf die Haftung des Arbeitgebers. Aufgrund des Verböserungsverbotes im finanzgerichtlichen Verfahren verblieb es für die Jahre, in denen Einkommensteuererklärungen vorgelegt wurden, bei der geringeren, vom Finanzamt festgesetzten Haftsumme.

Ob der Arbeitnehmer überhaupt Einkommensteuer schuldet (z. B. weil er anderweitige Verluste hat), ist unabhängig von einer etwaigen Lohnsteuerschuld. Deshalb ist im Zusammenhang mit der Lohnsteuer auch nicht von Bedeutung, ob und wann der Arbeitnehmer eine Einkommensteuererklärung abzugeben hat oder tatsächlich abgibt.

Ein, wie von der Steuerpflichtigen angeführter, Vergleich von Einkommensteuer und Lohnsteuer würde dazu führen, dass dem Betriebsstättenfinanzamt alle individuellen Besteuerungsmerkmale der Arbeitnehmer bekannt sein müssten. Damit würden die Betriebsstättenfinanzämter aber die Aufgaben der Wohnsitzfinanzämter übernehmen. Eine solche Vermischung von Lohnsteuerabzug und Veranlagung zur Einkommensteuer durch sogenannte „Schattenveranlagungen“ wurde vom Gericht als unzulässig angesehen.

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